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HÄTTE ER GEWUSST
DASS DAS NICHTS
NICHT NICHTS IST,
WÄRE ER VIELLEICHT
SITZEN GEBLIEBEN
NEBEN DEM WOLF.


Exhitibion "Want to stay where i have never been"
Rathausgalerie München

2025
Fotografie


Von einer Laboruntersuchung erwarten wir in der Regel Antworten. Für Magdalena Jooss war die bildtechnische Analyse eines Objektfundes Ausgangspunkt für neue Fragen. Sie stellt uns mit dem Bildresultat einer Rasterelektronenmikroskopie vor Rätsel. Was sehen wir in der zerklüfteten Welt in Graustufen? Blicken wir auf von Würmern gebahnte Höhlengänge? Eine verlassene Mondlandschaft? Oder etwas ganz anderes? Das vorliegende Bild ist ein stark vergrößerter Ausschnitt aus einem Stück Baumrinde. Die Künstlerin fand es an dem Ausstellungsort ihrer Arbeit „Selfie Park“, die sie 2016 im Rahmen der Alm Residency im bayerischen Voralpenland entwickelte. Mitten im Wald spannte sie eine Leinwand welche genau das Bild, den Ort zeigte der sich dahinter verbarg, jedoch stark bearbeitet. Zehn Jahre später waren mitten im Wald noch Spuren dieser Installation zu finden. Verwachsene Einkerbungen in der Rinde zeugten davon, dass einst Schnüre um den Baum gespannt waren. Ein Stück dieser Rinde entnahm Jooss dem Baum und brachte es in ein Untersuchungslabor. Im Vakuum des Elektronenmikroskops verwandelte sich der Graben in einen völlig neuartigen Bildraum. Magdalena Jooss dachte an Atréju, der in Michael Endes Unendlicher Geschichte gegen das Nichts kämpft. Was, denn er sich mit dem Gmork angefreundet hätte? Wäre er vielleicht sitzen geblieben neben dem Werwolf, wenn er gewusst hätte, dass das Nichts nicht nichts ist?
Robert Hookes eröffnete mit der Veröffentlichung seiner Micrographia im Jahr 1665 eine bis dahin unsichtbare Welt – der Mikrokosmos. Die mit optischen Linsen gewonnenen Eindrücke schematisierte Hooke in detailreichen Zeichnungen und vervielfältigte sie als Kupferstiche. Besonders bekannt ist etwa seine Darstellung eines Flohs, die erstmals die faszinierende und komplexe Anatomie dieses kleinen Insekts für alle sichtbar machte. Ausgehend von der Lichtmikroskopie entwickelten sich eine Vielzahl technischer Bildgebungsverfahren, die auf unterschiedlichen physikalischen Prinzipien beruhen. Mit der Erfindung der Fotografie eröffneten weitere Produktions- und Distributionsmöglichkeiten für den mikroskopischen Blick. Entstandene Bilder inspirierten außerhalb wissenschaftlicher Labore seit jeher Künstler*innen wie den deutschen Grafiker und Fotografen Carl Strüwe, der 1955 mit dem Fotobuch Formen des Mikrokosmos eine eigene Gattung abstrakter Bildkompositionen begründete.
Insbesondere die ab den 1930ern entwickelte Rasterelektronenmikroskopie ermöglichte eine Abbildung von Objektoberflächen mit hoher Schärfentiefe: Bei einem Vergrößerungsfaktor von rund 1:1.000.000 gewinnen wir Einblicke in Nanometer-Dimensionen. Die Proben werden getrocknet, um im Vakuum stabil zu bleiben, und mit einer dünnen Edelmetallschicht präpariert, um von Aufladungseffekte zu vermeiden. Die Abrasterung der Objektoberfläche erfolgt mittels eines Elektronenstrahls in einem Hochvakuum. Die darin gemessenen Signale werden ausgewertet und zu einem Bild verarbeitet – ein technisch erzeugtes Bild, entstanden im „Nichts“.
In der Arbeit von Magdalena Jooss steht das Nichts in Form des Vakuum nicht für das Ende von Atrejus Heimat Phantásien. Es wird zum Schlüssel für die Schaffung neuer Bildwelten, mit denen die Künstlerin Fragen an unseren Umgang mit der Welt stellt. Vom Geflecht aus Bedeutungsebenen, Zeitschichten und komplexen physikalischen Prozessen bleibt am Ende ein schwarz-weißer Bildausschnitt. Im Ausstellungsraum weht die Mikroskopfotografie einer Baumrinde auf bedrucktem Stoff, rückseitig mit einem kleinen Wappen bestickt: das untersuchte Objekt als Trophäe, Ursprung einer zerklüfteten Bildlandschaft. Was finden wir, wenn wir der Natur auf den Grund gehen? Letzten Endes scheint die Natur sich unbeirrt ihren eigenen Weg zu bahnen – unabhängig von den Spuren des Menschen und seiner Technologien, mit denen er versucht, sie zu beherrschen und zu zähmen.

Maximilian Westphal, 26.04.2025

Mit freundlicher Unterstützung von der: Core Facility für Elektronenmikroskopie
und tatkräftiger Mithilfe von: Frau Dr. Ann Kathrin Bergmann


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